Mut zur Zuversicht
Krisen, wohin man schaut – ist Zuversicht überhaupt noch möglich? Mit dieser Frage konfrontierte mich kürzlich ein Radiosender für eine Podcast-Folge, und ich war im ersten Moment überrumpelt. Was ist Zuversicht eigentlich? Geht es um Hoffnung, Optimismus, Naivität oder gar positives Denken? Und wenn es Unterschiede gibt, warum sind diese wichtig?
Vorweg: Ja, wir brauchen Zuversicht, und ja, sie ist möglich. Aber, wie der Wissenschaftsjournalist Ulrich Schnabel sagt: „Die Angst kommt von allein, um die Zuversicht müssen wir uns bemühen.“ Zuversicht entsteht nicht von selbst – sie ist eine bewusste Entscheidung. Sie bedeutet, auf das Gute zu blicken und die vorhandenen Möglichkeiten zu erkennen. Zuversicht ist eine Frage der Perspektive. Wörtlich verstanden ist sie eine „Sicht auf etwas zu“.
Wir sehen – wir nehmen wahr, bewerten, reagieren. Jeden Tag prasseln negative Nachrichten, Katastrophenmeldungen und Ungerechtigkeiten auf uns ein. Krieg, Klimakrise und andere Turbulenzen überfordern uns, sie verwirren und hinterlassen oft ein Gefühl der Ohnmacht. Dieser Zustand verstellt uns den Blick auf das Wesentliche und erzeugt Angst. Langfristig schadet Angst unserem gesamten Wesen – Geist, Seele und Körper. Sie schwächt das Immunsystem, blockiert Kreativität und verringert unsere Handlungsfähigkeit.
Zuversicht bedeutet jedoch nicht, wegzusehen oder das Negative auszublenden. Die Augen vor der Realität zu verschließen, führt nur zu Verdrängung und Realitätsverlust. Es bedeutet nicht, zu verleugnen, was um uns herum geschieht.
Auch der Pessimismus bietet keinen Ausweg: Pessimisten schauen zwar hin, nehmen das Negative aber vorweg und lehnen jede Verantwortung für die Welt ab. Mit dieser düsteren Haltung gefährden sie sich und andere.
Ebenso wenig ist naiver Optimismus Zuversicht – die Haltung „Es wird schon alles gut!“ ist oft realitätsfern. Tatsächlich wird nicht alles gut; genauso wenig ist alles schlecht. Zuversicht ist auch kein Wunschdenken. Wunschdenken ist eine positive Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen sollte, oft ohne realen Bezug oder validen Fakten, sondern eine Fiktion oder Idealvorstellung. Diese Haltung führt nicht selten zu einer verzerrten Sichtweise, die Realität ignoriert oder verdreht – wie es viele Motivationstrainer zurufen: „Du kannst alles erreichen! Du kannst fliegen! Du bist ein Adler! Glaube an dich…“
Zwischen naivem Optimismus und düsterem Pessimismus liegt, so der Statistiker Hans Rosling, der Possibilismus. Dieser bedeutet, trotz Schwierigkeiten Möglichkeiten zu erkennen. Es ist die Fähigkeit, zwischen Reiz und Reaktion, sich auf das Gute und Machbare zu konzentrieren. Zuversicht ist die Fähigkeit, die Realität zu akzeptieren und dennoch den Blick auf das Gesunde und die Chancen zu richten. Wie Martin Luther sagte: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Die Positive Psychologie nach Martin Seligman verleugnet nicht die Krankheit, sondern richtet den Blick auf das Gesunde und Machbare. Zuversicht orientiert sich an Stärken, Ressourcen und Chancen, ohne die Realität oder bestehende Schwierigkeiten zu verdrängen. Es ist eine Frage der Perspektive – wende ich mich etwas zu oder von etwas ab?
Schaue ich auf das Große, den Makrokosmos, den ich kaum beeinflussen kann, oder bin ich dankbar für das Kleine, den Mikrokosmos, den ich mitgestalten darf?
Zuversicht ist mehr als Hoffnung, denn während Hoffnung auf einen äußeren Eingriff wartet, fördert Zuversicht selbstverantwortliches Handeln und kreatives Denken. Sie ist eine vorwärtsgewandte Dankbarkeit, die uns ermutigt, aktiv zu werden.
Zuversicht stellt uns einige grundlegende Fragen:
- Worauf richte ich meinen Fokus?
- Wohin lenke ich meinen Blick?
- An was orientiere ich mich?
- Wie handle ich?
Zuversicht ist der Mut, in Krisenzeiten nicht nur zu hoffen, sondern mit Tatkraft und Freude die Zukunft mitgestalten.