In diesem Artikel geht es um die Typologie des Enneagramms und die Beziehungssysteme, in denen wir uns bewegen. In der Beziehungsdynamik, die dabei entsteht, üben wir ständig Wechselwirkungen aufeinander aus.
Kommt ein Mensch auf die Welt, wird er in ein Beziehungssystem hineingeboren, und sei es noch so klein. Idealerweise sind da die Eltern, Grosseltern, vielleicht auch Geschwister. Des Weiteren lebt man unter Nachbarn, trifft sich mit Freunden und Bekannten etc.
In solchen Verbunden ist eine ständige Dynamik im Gang. Es wird ununterbrochen kommuniziert, verbal und nonverbal, bewusst und unbewusst.
In diesem ersten Beziehungsumfeld beginnt sich der Charakter des neuen Erdenbürgers auszubilden. Wird eine Beziehung als angenehm erlebt, geschieht eine innere Öffnung. Ist das Gegenteil der Fall und dauert dies über einen längeren Zeitraum, beginnt sich ein innerer Bewältigungsmechanismus, auch Schutzmechanismen genannt, auszubilden. An dieser Stelle sind wir Menschen gar nicht so verschieden, wie man spontan annehmen würde.
Die Typologie des Enneagramms beschreibt neun grundlegende Arten, sich in der Welt zu bewegen. Neun Wege, zu denken, zu empfinden und zu handeln.
Ein Beziehungssystem und seine Aufgaben
Verschiedene Mitglieder eines Beziehungssystems haben also alle ihre spezifischen Handlungsweisen. Da sind Menschen, die automatisch die Führung übernehmen, anderen ist es viel mehr ein Anliegen, dass die Stimmung in der Gruppe angenehm ist und sich alle möglichst wohl fühlen. Wieder andere kümmern sich am liebsten um praktische Angelegenheiten wie Planung, Nahrungsbeschaffung und Sicherheit.
Jedes Mitglied deckt dabei einen bestimmten Bereich ab. Hat in einem System jemand ein Bedürfnis, wendet er sich automatisch an diejenige Person, von der er weiss, dass er am ehesten Unterstützung bekommt, seien es die Eltern, ein bestimmter Arbeitskollege, eine Vorgesetzte oder ein Pastor. Bereits ein Kind weiss meistens instinktiv, wo sich jemand für es einsetzt, wenn es etwas selbst nicht kann.
Zwischen Menschen kommt es immer zu Wechselwirkungen
Überall, wo Menschen sich begegnen, zusammenleben oder -arbeiten, kommt es zu Wechselwirkungen untereinander. Person A sagt etwas und je nach Echo, das ihr entgegenkommt, verhält sie sich dementsprechend. Je nach Wechselwirkung, die wir bei unserem Gegenüber anstossen, reagieren wir wiederum darauf.
Gemäss unseren Grundannahmen, unserer gegenwärtigen Stimmung oder äusserer Umstände kann eine Begegnung in ganz unterschiedliche Richtungen führen.
Ist Misstrauen im Spiel, fühlt man sich viel eher kritisiert, angegriffen oder manipuliert, selbst wenn dies gar nicht der Fall ist. Fallen wir dann in den Modus «Autopilot», verlieren wir schnell einmal an Objektivität und beginnen, hauptsächlich auf der emotionalen Ebene zu reagieren. Dann besteht die Gefahr, dass ein Gespräch sich immer mehr verschärft.
Wie das Enneagramm bei Wechselwirkungen hilft
Als Modell der Selbsterkenntnis begleitet das Enneagramm Menschen auf ihrem Weg im Umgang mit sich selbst und mit anderen. Es öffnet die Augen für die eigene Persönlichkeitsstruktur und die Persönlichkeitsstrukturen anderer.
Alle neun Enneagramm-Grundmuster sind gleichwertig und bedürfen der gegenseitigen Ergänzung. Mit dieser Sicht gelingt es, Verständnis für andere Sichtweisen zu entwickeln, sie zu würdigen, wertzuschätzen oder auch einfach stehen zu lassen. Diese Tatsache allein entschärft bereits viele Konflikte oder lässt sie erst gar nicht entstehen und sie ermöglicht es einem bereits im Voraus, anders zu denken und zu handeln.
Zudem kann das Enneagramm einem ein tiefes Gefühl geben, in der eigenen Art gesehen zu werden: Man kann also tatsächlich so sein! Und man ist damit nicht allein, da sind noch andere, die genauso empfinden. Mit diesem Wissen im Hintergrund kann man auch immer wieder einmal über sich selbst schmunzeln: «Nun wollte ich doch tatsächlich gerade…»
Subsysteme
Ganz nach dem Sprichwort «Gleich und gleich gesellt sich gern» kommt es häufig vor, dass Menschen mit ähnlichen Grundmustern in einer Gruppe mit traumwandlerischer Sicherheit zusammenfinden. Hier fühlt man sich verstanden, hat ähnliche Bedürfnisse und Anliegen. Das kann ein grosser Vorteil sein, sofern auch die Gruppe als Ganzes im Fokus bleibt. Das Ziel darf keinesfalls sein, sich abzuschotten oder Gewinner und Verlierer zu spielen
Beziehungsdynamik: Pole und Gegenpole
Beziehungsdynamik bedeutet unter anderem, dass dieselbe Person in verschiedenen Beziehungen und bei verschiedenen Menschen unter Umständen ganz unterschiedliche Gesichter zeigt und sich ganz unterschiedlich verhält.
Nehmen wir einen Mann mit Enneagramm-Muster 7, der mit seiner Partnerin, mit Enneagramm-Muster 6, grundsätzlich sehr sachlich und objektiv diskutiert. In der Beziehung mit einer anderen WG-Bewohnerin, mit Enneagramm-Muster 8, hängt jedoch andauernde Konfrontationsbereitschaft in der Luft (Die Enneagramm-Muster Erklärt).
Ein System strebt nach Ausgleich
Beziehungssysteme sind immer dynamisch, seien es Partnerschaften, Familien, Teams, Mannschaften oder andere Gruppen. Ist in einem System eine Qualität ausreichend vertreten, kann eine andere Kraft für Ausgleich sorgen.
In einem Team, in welchem die Bedürfnisse, beispielsweise eines «Herzmenschen», nicht abgedeckt sind, weil es vielleicht vor allem kopflastige oder bauchlastige Mitglieder hat, wird jemand, der «Herzbedürfnisse» hat, wie Zugehörigkeit oder für Menschen zu denken, diese Anliegen in viel stärkerem Ausmass vertreten.
Hat es in einem Kontext jedoch viele «Herzmenschen» und es wird viel Wärme und Miteinander gelebt, kann es vorkommen, dass ein «Herzmensch», der vielleicht auch noch Bauchanteile hat, ausgleicht und auf einmal beginnt, mehr «Bauch» zu zeigen.
Verständnis kann Wunder wirken
Im menschlichen Zusammenleben ist etwas zentral wichtig: die Bereitschaft, sich auf das Gegenüber einzulassen und zu versuchen, seine Sicht der Dinge nachzuvollziehen. Mit einer offenen Einstellung anderen gegenüber werden auch eher positive Wechselwirkungen erzeugt.
Um dies zu verdeutlichen, hier ein Beispiel aus einem Altersheim, das auf einer ganz basalen Ebene aufzeigt, worum es dabei geht.
Eine Bewohnerin, die an Demenz erkrankt ist, fragt die Pflegende: «Sind wir hier in einem Altersheim?» Die Pflegerin antwortet: «Ja wir sind hier im Altersheim YX.» Worauf die Bewohnerin traurig bemerkt: «Ich will aber nicht ins Altersheim…» Die Pflegende pflichtet ihr bei: «Ich möchte auch nicht ins Altersheim.» Da setzt die Bewohnerin ein verschmitztes Lächeln auf und sagt ganz bestimmt: «Gell, wir zwei gehen nicht ins Altersheim, wir bleiben hier!’»